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Wiener Walzer


3/4-Takt, ca. 60 Takte/Minute

I. Geschichte

Erste Spuren des heutigen Wiener Walzers finden sich bereits im 12. Jahrhundert unter wechselnden Namen und zwar im alpinen, deutsch-österreichischen Raum. In den Anfängen benennt man ihn mit Schwäbisch, Steyrisch, Langaus, Plattler, Ländler, Schleifer, Deutscher. Dies waren ohne Ausnahmen Werbetänze mit fast identischen Schrittmustern.

Bis ins 15. Jahrhundert wurde auch noch recht gesittet getanzt, indem man zum Partner Distanz hielt, ab und zu die Hände berührte, der Tanz aus Werben, Umkreisen, Fliehen und Fangen bestand. Nur bei gemeinsamen Drehungen und am Ende als Höhepunkt hatten die Paare Körperkontakt. Mit der Zeit fanden die Tanzenden jedoch mehr Freude an eben diesem Körperkontakt: "Ihr Tanz war dieser. Sie nahmen das Frauenzimmer bei der Hand, die sie ihr zugleich küssten, legten sodann ihre Hand auf die Schulter der Dame, umfassten sie und drückten sie dermassen an sich, dass die Wangen zusammenkamen" (Montaigne, franz. Philosoph und Schriftsteller, 1580).

Kein Wunder, dass die Obrigkeit da einschreiten musste:

"Nachdem nit allein an einen Erbarn Rat gelangt, sondern auch offentlich am Tage und vor Augen ist, welchermassen bei den Hochzeiten und anderen Tänzen Missbrauch gehalten, indem dass Frauen und Jungfrauen übermässig herumbgeschwungen und verdreht werden, da muss nit geringe Ärgernis und Nachrede erfolgen... so haben unsre Herren diesem unziemlichen Missbrauch nit länger zuschauen wollen, ernstlich gebietend, dass sich ein jeder, wes Standes er sei, bei allen Tänzen alles unzüchtigen Tanzens, dazu alles Herumbschwingens und Verdrehens, desgleichen allein in Hosen und Wams ohne darüber angetan Kleid zu tanzen, sich gänzlich enthalten soll" (Rat der Stadt Nürnberg 1550).

"Die Tänze soll man halten wie von alters her, züchtig und ehrlich, ohne Verdrehen, Umschlingen und andere böse Geberden. Das Schleudern und Verdrehen wird bei einer Mark Strafe verboten" (Magdeburg 1544).

"Frauen und Jungfrauen sollen sich züchtig am Tanz zeigen, und die Mannspersonen sich des Verdrehens und anderer Leichtfertigkeiten enthalten. Welcher Mann Frauen und Jungfrauen verdrehen und aufwerfen wird, der soll gefänglich eingezogen werden und um 20 Gulden Strafe bestraft werden" (Belgern an der Elbe 1572).

Was der Obrigkeit jedoch trotz diesen Verboten und Strafandrohungen nicht gelang, schaffte die Kirche: Die vorübergehende Verdrängung des Walzers. Luther zeigte sich noch mässig: "Man fraget, ob das Tanzen, von welchem viel Böses herzukommen scheint, unter die Sünden zu rechnen sei. Ob es bei den Juden üblich gewesen, weiss ich nicht. Weil es aber bei uns, wie das Gästeeinladen, sich mit Kleidern schmücken, essen, trinken und fröhlich sein, Landessitte und gebräuchlich ist, weiss ich es nicht zu verdammen, wenn es nur nicht übermässig und unzüchtig geschieht. Dass aber Sünden und Laster dabei vorgehen, ist nicht dem Tanz, sondern den unordentlichen Begierden der Tanzenden zuzuschreiben. Gleichwie es auch nicht des Essens und Trinkens Schuld ist, dass etliche darüber zu Säuen werden."

Andere Geistliche fuhren grosses Geschütz auf:

"Tanzen ist nichts anderes denn eine Bewegung zur Geilheit, ein Spiel, das allen Frommen übel ansteht, vom lebendigen Teufel, Gott zur Schmach, erfunden... Das wüste Umlaufen, das unzüchtige Drehen, Greifen und Maullecken ist Sünde..." ("Ehespiegel" von Prediger Spangenberg, Strassburg 1528 - 1604).

"Da begreifet man Frauen und Jungfrauen mit unkeuschen Händen, man küsst einander mit hurischem Umfangen, und die Glieder, welche die Natur verborgen hat, entblösst oft Geilheit. Wo geschieht mehr Übermut, Trutz, Mord, Verachtung denn eben im Tanz? Tanzen ist eine Übung, nit vom Himmel kommen, sondern von dem Teufel erfunden... Man betrachte doch das Tummeln, das Herumschweifen, das Auswerfen der Beine, das Hintersichlaufen, danach Vorlaufen, sich wie ein Rad drehen, die Erde mit den Füssen klopfen, wie ein Kreisel herumhaspeln und wirbeln..." ("Vom Tanzen" von Pfarrer Melchior Ambach, Frankfurt am Main 1545).

"Tanzen ist eine unflätige Bewegung und ein schändliches Schauspiel. Tanzen ist Sünde. Tanzen ist ein Haufen Unreinigkeit. Tanzen ist ein fauler Baum. Tanzen ist Bosheit und eitel Finsternis, ist eine böse Lust. Tanzen ist ein schändlicher und ehrloser Missbrauch. Tanzen ist ein satanischer Aufzug" ("Tanzteufel" von Theologe J.L. Hartmann 1677).

Wie man sich aufgrund der Zitate unschwer vorstellen kann, wurde der damalige Walzer im Gegensatz zum heutigen wild und heftig getanzt (beim Schuhplattler fliegen auch heute noch die Mädchen und deren Röcke in die Höhe), sodass es die geistlichen Herren relativ leicht hatten, die zumeist frommen Menschen von der Schädlichkeit solchen Treibens zu überzeugen.

Bis 1770 herrschte Ruhe, dann aber brach die Zeit des eigentlichen Siegeszuges des Walzers an. Die in diesen Jahren lebenden Menschen waren von Herz, Gefühl und Leidenschaft erfüllt und suchten den Rausch und die ungebundene Bewegung, die sie im Walzer fanden:

"Wenn das Paar sich eng umschlingt, Knie an Knie, Brust an Brust, Aug in Auge, die Hand des Mädchens auf schwellenden runden Hüften, wenn ihn der reine Atem der Schönen anweht, wenn man an den heissen Wangen die Wärme fühlt und ein Herz dem andern entgegenklopft, muss da nicht Phantasie und Sinnlichkeit rege werden?"

Goethe lernte den Walzer in Strassburg kennen und schreibt dazu in seiner Autobiographie "Dichtung und Wahrheit":

"Während meines Aufenthaltes in Frankfurt war ich von solchen Freuden ganz abgeschnitten; aber in Strassburg regte sich bald, mit der übrigen Lebenslust, die Taktfähigkeit meiner Glieder. An Sonn-und Werkeltagen schlenderte man an keinem Lustort vorbei, ohne daselbst einen fröhlichen Haufen zum Tanze versammelt, und zwar meistens im Kreise drehend zu finden. Ingleichen waren auf den Landhäusern Privatbälle... Hier wäre ich nun freilich nicht an meinem Platz und der Gesellschaft unnütz gewesen; da riet mir ein Freund, der sehr gut walzte, mich erst in minder guter Gesellschaft zu üben, damit ich hernach in der besten etwas gelten könnte. Er brachte mich zu einem Tanzmeister... Der Unterricht dieses Lehrers erleichterte jedoch ein Umstand gar sehr: er hatte nämlich zwei Töchter, beide sehr artig, sprachen nur französisch, und ich nahm mich von meiner Seite zusammen, um vor ihnen nicht linkisch und lächerlich zu erscheinen. Ich hatte das Glück, dass auch sie mich lobten, immer willig waren, nach der kleinen Geige des Vaters ein Menuett zu tanzen, ja sogar, was ihnen freilich beschwerlicher ward, mir nach und nach das Walzen und Drehen einzulernen... Die Hoffnung der Gesellschaft auf Musik wurde endlich befriedigt, sie liess sich hören und alles eilte zum Tanz. Die Allemanden, das Walzen und Drehen war Anfang, Mitte und Ende. Alle waren zu diesem Nationaltanz aufgewachsen; ich auch machte meinen geheimen Lehrmeisterinnen Ehre genug, und Friederike, welche tanzte wie sie ging, sprach und lief, war sehr erfreut, an mir einen geübten Partner zu finden."

Damals war es üblich, lange und ununterbrochen in rasendem Tempo Walzer zu tanzen, sodass nicht wenige Mädchen in Ohnmacht fielen, was wiederum zu einigen Verboten, diesmal aus medizinischer Sicht, führte. 1797 schrieb Salomo Jakob Wolf eine "Erörterung der wichtigsten Ursachen der Schwäche unserer Generation in Hinsicht auf das Walzen und der Beweis, dass das Walzen eine Hauptquelle der Schwäche des Körpers und des Geistes unserer Generation sei".

Berühmt geworden sind Byrons Gedicht gegen den Walzer und der Herzog von Devonshire, der keine Dame heiraten wollte, die Walzer tanzte (er blieb ledig).

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts steigerte sich das Tempo der gespielten Wiener Walzer immer mehr und gipfelte um 1900 in 100 Takten pro Minute (der heutige Turnierwalzer hat etwa 60 Takte pro Minute). Bei diesem Tempo war nur noch die Zweischrittform möglich. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Wiener Walzer für einige Zeit gänzlich durch viele neue Tänze verdrängt.

Zwei Tanzlehrer sorgten für die Wiederbelebung des in Vergessenheit geratenen Wiener Walzers: Der Österreicher Karl von Mirkowitsch (wie viele andere kaiserlich-königliche Offiziere nach dem 1. Weltkrieg Tanzlehrer geworden) und der Deutsche Paul Krebs, der in den 50er-Jahren die moderne Technik zum Wiener Walzer schrieb und den Tanz im April 1951 in England vorführte. 1938 bereits ins internationale Turnierprogramm aufgenommen, konnte sich der Wiener Walzer bei den Engländern jedoch trotz aller Bemühungen nicht durchsetzen und wird nur höchst selten an Turnieren getanzt. Ausnahmen sind z.B. die United Kingdom und die International Championships (an diesen Turnieren wird der Wiener Walzer dann als letzter Tanz nach dem Quickstep getanzt). An den Open British Championships in Blackpool kommen "nur" Waltz (langsamer Walzer), Foxtrot (Slowfox), Tango und Quickstep (in dieser Reihenfolge - sehr angenehm) vor, was das Erküren eines Champions erschweren kann (bei Punktegleichheit zweier Paare in vier Tänzen). Trotzdem gibt es seit einiger Zeit auch unter vielen englischen Trainern und Paaren das Bestreben, sich mit dem Wiener Walzer auseinander zusetzen und dies nicht nur deshalb, weil dieser Tanz Bestandteil von Welt-und Europameisterschaften und allen anderen Turnieren 'on the continent' oder 'abroad' ist.



II.Tipps

- Den Wiener Walzer nicht als Stiefkind betrachten. Auch ihn in jedem Training durchnehmen. Immerhin kann man mit ihm ein Turnier oder eine Meisterschaft gewinnen oder verlieren

- Mit Rechtsdrehungen vorwärts auf einen betonten Takt anfangen

- Die Linksdrehungen nicht bewusst klein tanzen. Trotz des grösseren Drehgrades ist auch hier Ausdehnung und der entsprechende Schwung möglich

- Die Übergangsschritte (Wechsel von einer zur anderen Drehung) auf einen unbetonten Takt tanzen, d.h. beim Wechsel von der Rechts-zur Linksdrehung rückwärts, beim Wechsel von der Links-zur Rechtsdrehung vorwärts

- Die Übergangsschritte immer auf der Längsseite tanzen, nie in der Kurve

- Wo Schwung erzeugt wird, muss es Neigung geben. Diese Neigung ist im Wiener Walzer unbedingt in den 1. Taktteil des nachfolgenden Taktes mitzunehmen

- Rechtsachsen sind ab B-Klasse erlaubt, sind besonders schön am Ende einer kurzen Seite zu tanzen und bilden eine rhythmisch, tänzerisch und optisch interessante Auflockerung

- Das Fleckerl (frühestens ab A-Klasse zu empfehlen) wirklich als Fleckerl tanzen (an Ort), es weder in ein Eierl noch in ein Verschieberl umzuwandeln versuchen (obwohl dies meist unbeabsichtigt geschieht)

- Auch den Contra Check (Wechsel von Links-zu Rechtsfleckerl) in der Kürze der Zeit austanzen (man kann vorher und nachher etwas Zeit gutmachen)

- Zitat aus den Wertungsrichtlinien: "Der erste Schritt vorwärts muss stets mit der Ferse angesetzt werden. Die beiden weiteren Schritte erfolgen auf dem Ballen. Der dritte Schritt, im Rückwärtsteil einer Rechts-oder Linksdrehung, muss auf Ballen-Ferse geschlossen werden. Das Heranziehen über die Ferse ist falsch." 99 % der Herren (sowie auch einige Damen) weltweit machen den letztgenannten Fehler. Die grosse Prozentzahl schützt jedoch nicht die Nachlässigen. Hauptursache für den erwähnten Fehler ist das flachere Tanzen des Wiener Walzers, was sich in eine Slowfox-ähnliche Fusstechnik auswirken kann (im Slowfox müssen alle Rückwärtsschritte der Dame über die Ferse gezogen werden, bei den Herren fast alle). Weitere Gründe können im unsauberen Absenken des Herrn vor dem 4. Schritt der Rechtsdrehung liegen, Resultat: Dame wird gezogen, Herr muss belasten, der Schritt wird zu klein, das Gewicht geht voll in die Ferse, ein nachfolgendes Schliessen auf Ballen-Ferse wird verunmöglicht.

Michael Scherer



Musikbeispiel

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