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Hommage für Trudi Schmucki

Report Nr. 11

Tanz Illustrierte Nr. 182, Dezember 1967


Vom Tanzschullehrer bis zum Professional-Weltmeister

Die Rudi Trautz-Story


Nanu, heisst es nicht: Ladies first - Damen zuerst? Und haben nicht Rudolf und Mechtild Trautz die Weltmeisterschaft gemeinsam gewonnen?

Gut reagiert, lieber Leser! Aber - darin zeigt sich eine der sympathischen Seiten Frau Mechtilds mehr, wenn sie sagt: "Stimmt schon, ich habe mit ihm trainiert, mitgetanzt, mitgekämpft - aber unser Erfolg ist zuerst einmal sein Erfolg. Mir genügt es, darüber sehr glücklich zu sein. Ohne Rudi, kein Weltmeisterpaar Trautz!" (Deshalb hat sie ihre eigenen Jugendbilder auch gut eingeschlossen.)

Rudolf Trautz wird drei Tage vor Heiligabend, am 21. Dezember 1964, 31 Jahre alt. Er ist 1936 in Nürnberg als Sohn eines Opernsängers geboren. - Aha, daher die Musikalität! Daher auch die Folge der Städte, in denen Klein-Rudi seine Kindheit verbracht hat: Berlin, Könisgsberg, Den Haag (Niederlande) und Reutlingen, wo er heute mit Frau Mechtild wohnt, bei Mutti Trautz. In Reutlingen ist er bei Pfanders in die Tanzschule gegangen, dort hat er, von Anbeginn ein begeisterter Tänzer, seinen Fortgeschrittenenkursus mitgemacht und die ersten Turniere im DAT getanzt. Dabei hat ihn eines Tages der Entschluss gepackt, einmal Tanzlehrer zu werden..

Dass er mit dieser Ausbildung nicht sofort begonnen hat, ist charakteristisch für ihn. Er ist ein Systematiker, der ein einmal gefasstes Ziel nie aus den Augen lässt, der aber abwarten kann; denn Sicherheit geht ihm über alles - nicht nur auf dem Parkett. Sein zuerst gewählter Beruf in der Textilbranche - Webereifachmann - soll ihm erst einmal zur finanziellen Grundlage verhelfen. So geht er in die Schweiz, zunächst nach Bern (4 Monate Training in der Tanzschule Schürch) und anschliessend nach Zürich. Dort bereiten ihn Albert und Trudi Schmucki auf den ersten Meistertitel vor. 1957 gewinnt er die Schweizer Amateur-Meisterschaft. Er darf den Titel aber - als Ausländer - nicht führen. Dennoch bleibt er bis 1958 im Land der Kantone und lässt sich bei Schmuckis theoretisch auf den Tanzlehrerberuf vorbereiten. In die Bundesrepublik zurückgekehrt, wählt er als ADTV-Ausbildungslehrer Curt und Inge Schmid, eines der damals erfolgreichsten deutschen Turnierpaare. In ihrer Stuttgarter Tanzschule wird er Assistent, nimmt er Kontakt auf mit der internationalen Turnierwelt, mit den Meistern der ausgehenden 50er und der beginnenden 60er Jahre. So wird schon der Ausbildungsschüler zu einem, man kann schon sagen besessenen Turniertänzer.

Bei jung und alt beliebt, lädt man ihn gern ein. Als wir ihn bei Schmids kennenlernen, begibt sich bei jedem Besuch dasselbe: Wenn die Tanzschule geschlossen werden soll und die Stunde des Nachtessens im "Matthäser" gekommen ist, bleibt Rudi zurück. Er muss noch trainieren. In den Pausen drückt er jedem, der gerade im Büro wartet, ein Fachbuch in die Hand, um sich abfragen zu lassen. Alex Moores Werke kann er vorwärts und rückwärts "aufsagen" wie ein Gedicht. Für ihn liest sich eine Choreographie wie Musik.

Spät nachts sitzen wir einmal nach einem Professional-Turnier in der Liederhalle beisammen - unter der gastfreien Obhut von Steibs. Dabei entwickelt er zum ersten Mal die Theorie, die er sich als Fernziel gesetzt hat: "Um englische Profis schlagen zu können, müsste man trainieren und tanzen können wie sie, befreit von der Notwendigkeit, Anfängerkurse zu geben."

Noch bevor er die Tanzlehrerprüfung - mit Leichtigkeit - bestanden hat, rechnet er sich aus, wie viel Geld er wohl benötigt, um sich ein Professionalleben ohne Schulverpflichtungen leisten zu können. Das Ziel erscheint ihm noch fern. Was er jedoch schon tun kann, ist: Trainieren, vor den Kursen, in der Mittagspause, nach den Kursen.

Nach Curt Schmids tragischem Tod zögert Rudolf Trautz nicht, den Aufbau seiner eigenen Existenz mit der Neuordnung der Existenz von Frau Inge Schmid zu verbinden und mit dieser hervorragenden Turnierpartnerin gemeinsam zu starten. Frau Inge - Systematikerin wie er selbst - gründet eine Tanzschule in München, die er mit aufbaut. Dann übernimmt Rudolf Trautz in Regensburg eine eigene Schule. In dieser schweren Zeit reift das Paar Trautz / Schmid zum ersten deutschen Professionalpaar von intentionaler Ausstrahlung. 1962 gewinnen sie die Deutsche Professionalmeisterschaft in latein-amerikanischen Tänzen, werden Zweite in der Standard-Meisterschaft und Deutsche Meister über neun Tänze. 1963 schneiden sie bei den Weltmeisterschaften in Melbourne als Drittbeste der Welt in latein-amerikanischen Tänzen und als Viertbeste in Standardtänzen sowie in der Allround-Bewertung ab. Ist dies wirklich erst vier Jahre her?

Im gleichen Jahr verabschiedet sich die Tanzlehrer-Partnerschaft Trautz / Schmid vom internationalen Parkett.

Rudolf Trautz setzt nun zur dritten Stufe seines Angriffs auf die grossen Titel der Welt an, München hat ihm dazu eine ideale, von den Pflichten eines Tanzlehrers völlig freie Partnerin sozusagen in die Arme gespielt, Mechtild Schmelzer. Sie ist Assistentin beim Postscheckamt, hat in der Tanzstunde bei Thea Sämmer Spass am Turniertanzen gefunden und 1957/58 anderthalb Jahre lang als Amateurpartnerin getanzt. Danach hat sie sich aber mehr ihren Hobbys Skifahren und Segeln gewidmet. Das versteht sich beinahe von selbst, wenn man in Augsburg (am 21.10.1937) geboren ist und in München lebt.

Frau Mechthild wird sicherlich bestätigen, dass Rudi, den sie am 1. Juni 1963 heiratet, in dieses beschauliche Leben wie ein Sturmwind hineinfegt. Die Berge und die Seen des Alpenvorlandes rücken fortan in immer weitere Ferne. London und ganz Deutschland werden zum Arbeitsfeld eines Ehepaares, das ein Professionalpaar werden will.

Als sie die Redaktion der "tanz-Illustrierten" kurz nach ihrer Eheschliessung besuchen - auf der Rückreise von London - entwickelt Rudi seinen Idealplan: "Zwei Monate Training in England und anschliessend ein Monat Fachlehrer- und Trainertätigkeit auf dem Festland." Nur so, meint er, kann es gelingen. Freilich hat sich der Reiseturnus bald umgekehrt. Aber Tag für Tag, oft auch erst in der Nacht, widmet Rudi alles, was er als Trainer weiss und kann, vor allem einer einzigen Turniertänzerin, seiner Frau. So dauert es kein Jahr, und sie gehört nicht nur wegen ihres angeborenen Charmes und ihrer herzlichen Art, sondern auch aufgrund ihres Könnens zu den beherrschenden Partnerinnen der Turniertanzflächen. Vergangen ist die Scheu, die man ihren Augen - einst Augen eines schüchternen Rehs - ablesen konnte. Mit wachsenden Erfolgen wird sie zu einer strahlenden Erscheinung, deren Faszination im Tanz sich heute wohl kein Turniergast mehr entziehen vermag

Hier die Stationen ihres Aufstiegs:

14.05.65: 1. Preis, Internationales Turnier, Standard (Leverkusen)
02.10.65: 1. Preis, Deutschland Pokal, Standard (Nürnberg)
08.10.65: 1. Preis, Bricklewood Trophy, Standard (Southhampton)
25.02.66: 1. Preis, Grosser Preis von Franken, Intern. Latein (Würzburg)
16.04.66: Deutscher Meister, Standard (Frankfurt)
17.09.66: 1. Preis, Grosser Preis von Belgien, Standard (Spa)
14.10.66: Europameisterschaft, Latein (Duisburg)
03.12.66: Deutscher Meister über 9 Tänze (Braunschweig)
10.02.67: 1. Preis, Grosser Preis von Franken 9 Tänze (Würzburg)
13.02.67: 1. Preis, "Prix d'Elegance" Standard (London)
11.03.67: Deutscher Meister, Latein (Neuss)
26.03.67: 1. Preis, Intern. Deutsche Meisterschaft Latein (Bad Kissingen)
15.04.67: Deutscher Meister, Standard (Frankfurt)
06.05.67: 1. Preis, grosser Preis von Deutschland Standard (Kaiserslautern)
17.05.67: Britischer Meister, Latein (Blackpool)
09.09.67: 1. Preis, Grosser Preis von Belgien, Latein (Spa)
07.10.67: Deutscher Meister 9 Tänze (Sindelfingen)
19.10.67: Weltmeister, Latein (Melbourne)
28.10.67: 1. Preis, Intern. Championships, Latein (Tokio)
29.10.67: 1. Preis, Intern. Championships Standard (Tokio)
25.11.67: Europameister, Latein (Hillegom, NL)

Nach der Weltmeisterschaft also drei weitere Turniersiege! Welch bewegtes Leben, anstrengendes Leben - glückliches Leben! Aber dieses Glück ist verdient. Manche Last gehört gottlob der Vergangenheit an - vor allem, wenn sie einmal in ihrem Reisetagebuch nachlesen, aus dem wir ein Stück abschreiben durften: die Notizen über ihren erfolgreichsten Monat:

Indien - Australien - Japan

"Auf nach Australien: Abfahrt 8.10. Zwischenlandung in Zürich mit 4 Stunden Aufenthalt weiter bis New Delhi. Ankunft Delhi 9.10., 9.30 Uhr. Sehr warm, sehr schmutzig, sehr arm. Ein Tag Sightseeing, ein Tag Ausruhen am Swimmingpool. Ausruhen ist wichtig, denn wir haben vor Sindelfingen zuviel trainiert.

11.10. um 4.45 Uhr Abflug nach Bangkok. Ankunft um 9.40 Uhr. Sehr warm. Bangkok hat sich in den letzten 5 Jahren sehr verändert, es ist sehr viel gebaut worden. Alle Menschen sind so freundlich und liebenswürdig. Viele hübsche Mädchen. Ein Tag Sightseeing. Am zweiten Tag Treffen mit Mitgliedern der Thai Dancing Association. Geben eine kleine Tanzschau in einer Tanzschule und etwas Unterricht über modernen Trend. Sehr begabte Tänzer (wie Japaner). Besuch in einem grossen Nachtclub, in welchem gut getanzt wird. Tango, Langsamer Walzer usw., wir kommen uns vor wie in London, in einer Dancehall (leicht übertrieben)!

13.10. Abflug nach Singapore. Ankunft 22.30 Uhr. Sehr warm. Essen im Chinesischen Viertel, leben nun schon fünf Tage von Chinafood, bekommt uns sehr gut. Besuch in einem Nachtclub, auch hier wird zum Teil gut getanzt: Quickstep Vierteldrehung, Kreisel, Chassé, Lockstep. - Am nächsten Tag Sightseeing und Besuch in einer Tanzschule. Auch in Singapore und Malaysia werden Turniere getanzt (mehr in Kuala Lumpur).

14.10. ab Singapore, an Melbourne 15.10., 12.30 Uhr. Welch anstrengender Flug! Der dauernde Klimawechsel und Zeitwechsel machen einen ganz fertig. Wir sind etwas enttäuscht, weil uns niemand am Flughafen abholt. Im Hotel angekommen, schlafen wir 15 Stunden ohne Unterbrechung. Die nächsten Tage sind ausgefüllt mit Trainieren, Ausruhen und vielen Interviews für Presse und Fernsehen. Am Abend des 18.10. geben wir eine Lecture über LA-Tänze.

19.10. Weltmeisterschaft Latein. Grosse Halle, 2 500 Menschen, grosse Tanzfläche, sehr gute Stimmung, schlechte, sehr schlechte Musik. Haben noch nie einen so guten Paso doble auf Sambamusik getanzt. Schliesslich merkt aber doch jemand, dass wohl eine falsche Musik gespielt wird. Fühlen uns trotz der Musik in sehr guter Stimmung. Sind überglücklich über das Resultat: Weltmeister!

20.10. Weltmeisterschaft Standard. Wie am Abend zuvor. 6 000 Menschen. Musik für Standard ist etwas besser.

21.10. Weiterreise nach Sidney. Dort zwei Schautanzverpflichtungen am selben Abend.

22.10. Weiter nach Manila. Zwei Tage Sightseeing und auch etwas Ausruhen.

24.10. Zwei Tage Hongkong. Treffen wieder mit Shinodas und Dieselhorst zusammen. Hongkong ist ein Einkaufsparadies.

26.10. Ankunft in Tokio, um 23 Uhr. Werden sehr herzlich empfangen.

27.10. Der Klimawechsel macht uns zu schaffen, hier ist es kalt. Trainieren etwas, sind aber sehr schwach auf den Beinen. Am Abend Anglo-German-Japanese Goodwill Party. Geben eine Tanzschau über 9 Tänze.

28.10. Turnier LA, 46-50 Paare. 4 Runden, Musik sehr gut. Fläche gross, aber keine Atmosphäre. Später finden wir heraus, dass man in Japan nicht während der Tänze applaudiert, sondern erst wenn Turnier oder Schau beendet sind. 1. Preis.

30.10. Vier Stunden Fachunterricht, davon 11/2 Std. Wiener Walzer. Noch am selben Abend Abreise über Honolulu. Die letzten Tage waren sehr anstrengend!

30.10. Bedingt durch den Zeitwechsel (Dateline), kommen wir trotzdem noch am selben Tag in Honolulu an. (Abreise Tokio 21.50 Uhr, Ankunft Honolulu 9.30 Uhr). Honolulu ist sehr schön und noch teurer. Wir ruhen uns drei Tage am Waikiki Strand aus.

03.11.Ein Tag San Francisco, dann weiter nach Los Angeles und New Jersey, sehr viel Unterricht und Shows. Von Amerika haben wir leider nichts gesehen, nur Tanzschulen und Flugplätze.

10.11. Rückkehr. Um 10.45 Uhr Stuttgart Flughafen, werden von Herrn und Frau Pfander und dem Tanzclub herzlich empfangen. - Es ist doch schön, wieder in good old Germany zu sein!"

Daheim - das ist für sie stets nur ein kurzer Traum, ebenso selten erfüllbar wie Frau Mechtilds Sehnsucht nach ein wenig Zeit für ihre Hobbys, Skilaufen und Segeln. Da hat Rudi mehr Glück mit seinem Hobby. Eine Skatrunde lässt sich vor oder nach Turnier, Schau oder Training hier und da doch einmal zusammentrommeln. Und wenn nicht: Herz Ass, Frau Mechtild, ist immer mit von der Partie. Auch Tanzen macht glücklich - erst recht, wenn man's kann wie die Besten der Welt!



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